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Bremens Weg in die Selbständigkeit: ein historischer Abriss

Text von Hartmut Müller. Aus: Wir bleiben frei. Bremen und Bremerhaven. Zwei Städte. Ein Land. Bremen 1990

Ein Thema beherrscht wie kein anderes die geschichtliche Entwicklung Bremens: Die Selbständigkeit innerhalb einer größeren politischen Gemeinschaft. Wie ein roter Faden durchzieht der Kampf um die Unabhängigkeit vom Landesherrn und das Streben nach Reichsunmittelbarkeit die bremische Geschichte. Am 1. Juni 1646 ist es erreicht: Im Linzer Diplom wird die Stadt von Kaiser Ferdinand III zur unmittelbaren freien Reichsstadt erhoben. Fortan muß Bremen seine Freiheit jedoch immer wieder verteidigen.
Bis dahin freilich war es ein schwerer Weg, seit Bremen im Jahre 787 unter Karl dem Großen zum Bischofsitz erhoben worden war. Mit Recht wird der Markt als einer der Faktoren genannt, die bei der Entwicklung zur Stadt eine wichtige Rolle spielten. Für Bremen ist das Jahr 965 bedeutsam: Aus der Hand Kaiser Ottos I erhält Bremen das Marktprivileg mit Marktzoll, Münzrecht und Marktgericht. Und in dem Dokument werden die seßhaften Kaufleute ausdrücklich als Einwohner Bremens bezeichnet. Sie sind es auch, die späterhin, unter Königsschutz gestellt, als "mercatores imperii" den Namen Bremens in die Welt hinaustragen werden. Aus der Marktsiedlung Bremen wird die Stadt: Die Anfänge eines eigenen Stadtrechtes gehen auf das Jahr 1186 zurück, belegt in einer Urkunde Kaiser Friedrichs I, in der sogenannten Barbarossa-Urkunde. Das Wichtigste: Wer Jahr und Tag in der Stadt gewohnt hat, gilt als "frei" und ist keinem Landesherrn außerhalb Bremens mehr untertan. Bremens Weg von der landesherrlichen Bischofsstadt zur freien Reichsstadt hat begonnen.
Im beginnenden 13. Jahrhundert erscheint die Stadt Bremen als selbständiger politischer Faktor im Unterweserraum. Etwa zur gleichen Zeit, als der Erzbischof im Rahmen der allgemeinen deutschen Entwicklung zum Landesherrn wird, macht Bremen dem geistlichen Stadtherrn das Regiment mehr und mehr streitig. Als verantwortlicher Leiter der städtischen Politik bildet sich der Rat, dessen Mitglieder - aus der städtischen Oberschicht kommend - 1225 erstmals als "consules" urkundlich erwähnt werden. An ihrer Spitze stehen Bürgermeister.
Die Stadt lebt nun nach Stadtrecht; seit dem 13. Jahrhundert aufgezeichnet und weiterentwickelt, findet es 1433 in der Eintracht eine Fassung, die für Jahrhunderte zur Grundlage für die bremische Verfassung wird. Der Erzbischof, in der Stadt auf den Dombezirk eingeschränkt, baut außerhalb der Mauern sein erzstiftiges Territorium auf. Seine Residenz verlegt er nach Bremervörde.
Nichts verdeutlicht das Streben nach Unabhängigkeit mehr als der Roland, Bremens traditionelles Wahrzeichen. 1404 läßt der Rat - im Angesicht des erzbischöflichen Domes - den steinernen Roland als Symbol für städtisches Recht und Treue zum Reich errichten. Den Anspruch auf Freiheit und Reichsstandschaft verdeutlichen ebenso die Skulpturen des Kaisers und der sieben Kurfürsten der nur wenig später entstehenden Rathausfassade.
Schon zuvor, 1358, war Bremen der Hanse, dem einst mächtigen Städtebund, beigetreten - geht aber im Rahmen dieser Vereinigung, wie auch schon vorher, eigene Wege. Im 15. Jahrhundert ist die Emanzipation der Stadt Bremen von der Gewalt der erzbischöflichen Stadtherrn so weit fortgeschritten, daß sie den unmittelbaren freien Reichsstädten nur unwesentlich nachsteht. So wird Bremen bereits vom Kaiser zu den Reichstagen in Nürnberg (1461), Regensburg (1471) und Augsburg (1473/74) geladen. 1541 und 1542 erlangt die Stadt von Karl V. eine Reihe von kaiserlichen Privilegien, die die Unabhängigkeit vom Landesherren weiter festigen: Zum Beispiel das Recht, goldene und silberne Münzen zu schlagen oder auch Hoheitsrechte zur Regelung der Schiffahrt auf der Unterweser.
1646 wird schließlich die Reichsfreiheit im Linzer Diplom besiegelt. Die Reichsunmittelbarkeit befreit Bremen vom Druck eines direkten Landesherrn und verschafft der Stadt besonders in Friedenszeiten ein großes Maß an Bewegungsfreiheit, die Bremens Handel und Schiffahrt zugute kommt. Das ist fast wichtiger als das Recht auf Sitz und Stimme beim Reichstag in Regensburg. Auch finanziell lohnt sich die neue Stellung beim Reich. Zwar sind in Kriegszeiten nicht unbedeutende Mittel aufzubringen, doch bleibt die Stadt in Friedenszeiten fast unbesteuert. Bremens Reichstreue hat somit durchaus auch viel mit politischem und wirtschaftlichem Eigeninteresse zu tun. Und auch wenn das Reich und der Kaiser nach außen hin immer schwächer werden, so ist die Reichsstandschaft immer noch besser als der Status einer der landesherrlichen Willkür ausgelieferten Stadt. Bremen, die freie Stadt, findet jedoch keine Ruhe. In den folgenden Jahrhunderten muß die Stadt immer wieder um den Bestand ihrer Reichsfreiheit kämpfen. Zunächst mit den Schweden, später mit den Dänen und dann mit Kurhannover als dem Erben der schwedischen Rechte im Herzogtum Bremen. Bremen ist gezwungen, seine Reichsfreiheit abzusichern, erstmals im Frieden von Habenhausen 1666. Eine endgültige Beilegung der Streitigkeiten erfolgt im Stader Vergleich 1741. Bremen erlangt die volle Landeshoheit. Als sich 1806 das alte deutsche Kaiserreich auflöst, wird Bremen schließlich ein selbständiger und souveräner Freistaat und nennt sich Freie Hansestadt. Doch ist dies nur von kurzer Dauer: 1810 werden die Hansestädte dem französischen Kaiserreich einverleibt. Bremen wird Hauptort des "Departements der Weser-Mündungen". Die Wiederherstellung des bremischen Staatswesens und der alten Verfassung erfolgt drei Jahre später mit der Befreiung von den französischen Truppen. Zusammen mit den souveränen Fürsten und den anderen freien Städten Deutschlands vereinigt sich die Freie Hansestadt Bremen im Jahre 1815 zum Deutschen Bund.
Als freier Stadt wird Bremen in der Bundesakte von 1815 zugestanden, eine eigene auswärtige Politik zu führen. Deutschland ist zu jener Zeit wirtschaftlich ähnlich zersplittert wie politisch. Umso bedeutsamer ist es, daß die Hansestädte mit ihrer Politik das Interesse ganz Deutschlands vertreten. Hanseatische Handels-, Schiffahrts- und Freundschaftsverträge erschließen ihrer Wirtschaft und der der übrigen deutschen Bundesstaaten die Märkte in Übersee. Bremische oder hanseatische Gesandte, Konsuln oder Agenten vertreten die Interessen der Stadt - mehr noch Deutschlands - in aller Welt. Ausländische diplomatische Vertretungen dagegen nehmen die Belange ihrer Länder in Bremen wahr.
Bremens Eintritt in den Norddeutschen Bund 1867 bedeutet freilich das Ende seiner weitgehenden politischen Selbständigkeit und den Verzicht auf eine eigene Außenpolitik. Dafür erlangt die Stadt aber dieselbe staatsrechtliche Stellung wie die hanseatischen Schwesterstädte. Als Freie Hansestadt wird Bremen 1871 Bundesstaat des neuen Deutschen Reiches und ist im Bundesrat mit voller Einzelstimme vertreten.
So wie Bremen über Jahrhunderte hinweg um seine Selbständigkeit bemüht ist, so sehr ringt die Stadt auch um ihre wirtschaftliche Lebensgrundlage: das seeschifftiefe Wasser. Die Versandung der Weser ist das Hauptproblem. Bremens Bürgermeister Johann Smidt schafft im 19. Jahrhundert den entscheidenden Durchbruch: Er kauft von Hannover ein Stück Land an der Wesermündung und läßt im Jahre 1827 den Neubau eines Hafens beginnen mit Zugang zum offenen Meer - der Grundstein Bremerhavens ist gelegt. Die Strukturen des Landes Bremen ändern sich entscheidend: Neben die Stadt Bremen mit ihrer Umgebung tritt mit Bremerhaven ein zweites städtisches Gebilde. 1851 wird Bremerhaven zur Stadt erhoben, die Voraussetzungen für den heutigen Zwei-Städte-Staat sind geschaffen. Doch damit nicht genug. Im Ausgang des 19. Jahrhunderts übernimmt Bremen mit der Korrektion der Unterweser und später auch der Außenweser sowie mit dem Bau und Ausbau der stadtbremischen Häfen Leistungen, die - obwohl sie der Gesamtwirtschaft des Deutschen Reiches zugute kommen - weitgehend von Bremen als nationale Aufgabe selbst finanziert werden. Weite Teile des gerade auch mitteldeutschen Hinterlandes können nun über Bahn und Binnenschiff schnell und kostengünstig an den Welthandel angeschlossen werden.
Auch unter der Weimarer Reichsverfassung bleibt Bremen Land und behält Sitz und Stimme im Reichsrat. Wie das Kaiserreich, so hat auch die Weimarer Verfassung den deutschen Ländern eigene Aufgaben belassen. Ländergrenzen schaffen verschiedene Zuständigkeiten. Dies ist besonders an der Unterweser spürbar geworden, wo ein geographisch und wirtschaftlich zusammengehöriger Raum mit den Städten Bremerhaven und Geestemünde in bremisches und preußisches Staatsgebiet aufgespalten ist. Um die sich hier für die gesamtdeutsche Volkswirtschaft ergebenden Nachteile der verschiedenen Landeshoheit abzuwehren, finden sich Bremen und Preußen zusammen und schließen am 21. Juni 1930 einen Staatsvertrag über eine Gemeinschaftsarbeit zwischen Bremen und Preußen, der verschiedene Abkommen auf dem Gebiet der Hochseefischerei, Verkehrsregelung, Landesplanung, Polizei und Kommunalpolitik umfaßt. Eine Entwicklung beginnt, die Bremerhaven an die Spitze der Hochseefischereihäfen des europäischen Festlandes führen soll.
Seit 1918 ist es immer wieder zu Versuchen gekommen, das Reich neu zu gliedern. In allen Reformvorschlägen werden jedoch die Stadtstaaten Bremen und Hamburg stets aufgrund ihrer besonderen Aufgaben als selbständige Staatsgebilde respektiert. Unter der Herrschaft der Nationalsozialisten verliert Bremen seine Selbständigkeit. Das vorläufige Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 31. März 1933 und das Gesetz über den Neuaufhau des Reiches vom 30. Januar 1934 zerschlagen die deutschen Länder, Bremen wird zusammen mit Oldenburg einem Reichsstatthalter unterstellt. Bremerhaven dagegen wird 1939 im Rahmen der Vierten Verordnung über den Neuaufbau des Reiches bis auf die bei der Stadt Bremen verbleibenden Häfen der 1924 aus Lehe und Geestemünde geschaffenen preußischen Stadt Wesermünde eingegliedert.
Der Besetzung Bremens durch britische Truppen und dem Zusammenbruch des Dritten Reiches folgt am 8. Mai 1945 die Bildung der Enklave Bremen als amerikanisches Besatzungsgebiet. Am 21. Januar 1947 jedoch wird Bremen zusammen mit Bremerhaven und Wesermünde durch die amerikanische Militärregierung als selbständiges Land wiederhergestellt. Am 7. Februar wird die Eingliederung Wesermündes in das Land Bremen vollzogen, und am gleichen Tage noch beschließt die Stadtvertretung Wesermündes zusammen mit Bremerhaven, für das Gesamtgebilde den alten gewachsenen Namen "Bremerhaven" anzunehmen. Mit neuer Stadtverfassung und neuem Wappen tritt das Stadtgebiet an der Weser unter die Staatshoheit des Landes Bremen, das mit Verkündung der Landesverfassung am 21. Oktober 1947 seine auch heute noch gültige Form findet.